Zeit - der größte Feind?

Zeit ist der größte Feind vieler Trainer. Aber warum ist das so? Sollte es nicht genau anders herum sein? Gibt es nicht das Sprichtwort: "Zeit heilt alle Wunden."? Und wird nicht immer wieder gepredigt, dass eine gute Pferdeausbildung Zeit benötigt? Warum also ist Zeit der Feind? Mit einem einfach Satz ausgedrückt, könnte man es so formulieren: "Zeit ist Geld."

 

Geld, das die Menschen vielleicht nicht üppig haben oder nicht ausgeben möchten. In meinem Alltag höre ich noch immer sehr oft den Satz "Ich habe mir das Pferd zum Reiten gekauft - also will ich auch reiten!" Doch was macht dies mit uns? Mit uns Trainern? Und vor allem mit den Pferden, die hier die Leidtragenden sind?

 

Eigentlich ist Zeit eines der wertvollsten Güter, die wir im Umgang mit unserem Pferd haben - neben Timing, Gefühl und Balance. Eine gute Pferdeausbildung ist sehr umfassend und benötigt ZEIT. Die Dinge, die ich nun ausgiebig trainiere und bei meinem Pferd verinnerliche, kann ich auch dann abrufen, wenn das Pferd zwei Jahre auf der Weide stand. Früher sagten die Lehrer oft: "Lerne es so lange, bis du es weißt - selbst, wenn ich dich nachts um drei Uhr wecke, möchte ich, dass du mir diese Fragen beantworten kannst." Ich selbst möchte eine Partnerschaft mit meinem Pferd eingehen, brauche jemanden an meiner Seite, der mir bedingungslos vertraut und dem ich bedingungslos vertrauen kann, auf den Verlass ist. Doch dies erreiche ich nicht mit zu wenig Zeit - ganz im Gegenteil: Vertrauen muss wachsen. 

Doch nicht nur Vertrauen braucht Zeit, um zu wachsen - auch eine gute Ausbildung benötigt seine Zeit. Wie sähe wohl die Arbeit von einem Handwerker aus, wenn er den Inhalt einer eigentlich dreijährigen Ausbildung in ein Jahr packen würde? Richtig! Er wüsste (vielleicht) von allem ein bisschen etwas, aber mehr auch nicht und sobald es in die Tiefe geht, würde er in die Röhre schauen und wäre heillos überfordert. Und genau so erlebe ich viele Pferde: Sie sind schon geritten, waren früh auf Turnieren, aber die Grundlagen? Ruhiges stehen, führen, Hufschmied-Besuche und vieles mehr fallen meist unter die Bewertung "war stets bemüht" - doch das ist nicht die Schuld der Pferde! Oft frage ich mich, wie die Leute auf Pferde steigen können, die sich nicht einmal anständig führen lassen, die beim Spaziergang schon keine Bremse kennen und zur Not auch über den Menschen drüber rumpeln - und auf solchen 600kg - Tieren wird dann ins Gelände geritten? Vorbei an Spaziergängern, Kinderwagen, Hunden und viel befahrenen Straßen? Für mich ein Umstand, den ich, mild ausgedrückt, mit "lebensmüde" beschreiben würde. Oder würdet ihr in ein Auto einsteigen und mit 200 km/h über die Autobahn rasen, wenn ihr wüsstet, dass die Bremse schon bei 20 km/h nicht funktioniert!?

 

Aber auch immer mehr Menschen finden sich bei mir im Training, die beim Kauf leider über den Tisch gezogen wurden - es wurden artige, brave (Reit-) Pferde versprochen und kaum war das Pferd im neuen zu Hause, entpuppte es sich als Buckler, Steiger oder Durchgeher und als gespritzt, zum Zeitpunkt des Probereitens. Die Grunderziehung wurde sowieso vergessen und der Umgang gestaltet sich meist mehr als schwierig und man wäre gut beraten, bereits beim Führen Helm und Sicherheitsweste zu tragen! Diese Ausführung mag überspitzt klingen, ist es aber leider keineswegs. Und nun stellt sich der Frust ein: "Ich habe so viel Geld für diese Möhre bezahlt, habe mich schon friedlich in den Sonnenuntergang reiten sehen und nun muss ich noch mehr Geld in den Gaul stecken! Warum soll ich jetzt für die Unfähigkeit des Vorbesitzers bezahlen!? Du hast vier Wochen Zeit, dann nehme ich das Pferd wieder mit!"

So. Und dann stehst du da. Sollst ein Pferd, das sich kaum führen lässt, bockt und steigt und Angst vor diversen Dingen hat, in vier Wochen kurieren. Und wenn du es nicht schaffst? Nun, dann bist du als Trainer unfähig, abgestempelt, ein Scharlatan.

Ganz schön unfair. Für alle Beteiligten.

 

Ich kann natürlich den Besitzer verstehen, der enttäuscht und gefrustet ist.

Das Pferd trifft sowieso keine Schuld, denn kein Pferd kommt als `Problempferd` auf die Welt, sondern wurde wissentlich oder unwissentlich zu einem `Problemfall` gemacht. Vor allem hat das Pferd kein Zeitgefühl wie wir. Es lebt im Hier und Jetzt. Und von Geld hat es ohnehin keine Ahnung. Und bevor ein Pferd denkt: "Oh, jetzt nehme ich mich mal ein bisschen zusammen, weil mein Besitzer mir nur vier Wochen Zeit in der Schule gibt", ist die Erde wohl doch eine Scheibe.

Und wir Trainer? Wir stehen vor dieser Aufgabe, die unüberwindbar scheint. Goliat gegen die Zwerge, in Form der tickenden Uhr. Tick-Tack-Tick-Tack.

 

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Versuche ich, dem Besitzer die Wünsche zu erfüllen, um ihn als Kunden halten und zufrieden stellen zu können? Doch dann muss ich gegen meinen anderen Kunden, das Pferd, arbeiten. Das Pferd, dem ich als Trainer eine Stimme geben möchte, damit sein Mensch es besser verstehen kann.

Oder versuche ich dem Besitzer klar zu machen, dass das Problem nicht in vier Wochen zu lösen ist? Zum Wohle des Pferdes? Mit der Gefahr, den menschlichen Kunden zu verlieren? Meinen Ruf zu verlieren und Gefahr zu laufen, dass nach außen getragen wird, dass ich es nicht schaffe, den Aufgaben nicht gewachsen bin?

 

Diese Fragen muss sich jeder Trainer stellen - früher oder später - und seine eigene Entscheidung fällen.

Ich für mich habe meine Entscheidung gefunden: Ich werde mich immer - IMMER - für das Pferd entscheiden. Will heißen: Wenn jemand mit einem Berg voll Probleme hilfesuchend durch meine Tür kommt, mir aber für das Beseitigen des Berges nur vier Wochen Zeit gibt, so werde ich ihm mitteilen, dass ich ihm und seinem Pferd sehr gern helfen werde, es aber in diesem Zeitrahmen kaum zu schaffen ist. Manchmal kommt es auch vor, dass die Probleme, wegen derer die Besitzer kommen, bei anderen Pferden in zwei Monaten aus der Welt zu schaffen sind, bei ihrem eigenen Pferd dauert es dennoch drei oder vier Monate, weil es sich bspw. schwer tut oder einfach länger für die Umsetzung braucht. Reite ich bspw. ein 3-jähriges Pferd an, das völlig unvorbelastet ist, so geht dies meist schneller, wie bei einem 12-jährigen rohen Pferd, das vielleicht schon die ein oder andere Erfahrung gesammelt hat und so schwerer zu überzeugen ist, als ein Jungpferd, das man noch recht schnell beeinflussen kann. Ebenso wird ein Pferd, das ruhig und ausgeglichen ist, schneller lernen, als ein Pferd, das bei jeder Kleinigkeit durch ein hohes Temperament in Aufregung gerät und so länger braucht, um das Gezeigte zu verstehen und umsetzen zu können. Denn nur was verstanden wurde, kann auch umgesetzt werden. Auf einem hohen Energielevel ist die Aufnahmefähigkeit mehr eingeschränkt, als auf einer ruhigen, ausgeglichenen. Genauso wenig werde ich mich auf ein Pferd setzen und es feiner und weicher reiten, wenn ihm die Muskulatur fehlt und ich ohne Muskelaufbau auf seiner Wirbelsäule sitzen würde. Hier wird erst Zeit in den Muskelaufbau gesteckt, ehe ans Reiten überhaupt zu denken ist! Und das nicht, weil ich die Ausbildung unnötig in die Länge und so mehr Geld verdienen möchte - sondern weil ich das Beste für das Pferd will! Das Wohl des Pferdes hat oberste Priorität - ganz gleich ob auf physischer oder psychischer Ebene. Und das IMMER!

 

Pferde sind Individuen. Pferdetraining ist individuell. Und genau so handhabe ich dies und gehe auf jedes Pferd so ein, dass es maximal lernen kann, ohne das Pferd dabei zu überfordern. So viel wie möglich, so wenig wie nötig.

Das heißt: Ich ziehe die Ausbildung nicht unnötig in die Länge. Hat ein Pferd etwas verstanden, muss ich nicht noch zwei Wochen darauf herum reiten. Aber die Pferde bekommen bei mir so viel Zeit, wie sie benötigen. Mir liegt es fern, zu viel Druck auf die Pferde auszuüben, nur weil mir die Zeit im Nacken sitzt, aber ich möchte sie natürlich auch nicht ewig bei mir haben, denn immerhin steht hinter jedem Pferd ein Besitzer, der dem Tag entgegen fiebert, an dem er sein Pferd wieder im heimischen Stall weiß.

Doch so kann ich gewährleisten, dass die Pferde optimal vorbereitet zu ihren Menschen zurück dürfen. Denn was nutzt es, wenn der Besitzer am Schluss an zwei oder vier Wochen spart, und das Pferd vorzeitig zurück holt, nur um dann innerhalb kürzester Zeit wieder am Ausgangspunkt zu stehen? Ärgerlich und zu vermeiden! Und so hat der Besitzer letztendlich mehr Geld kaputt gemacht als alles andere und jede Menge Zeit verschenkt. Es dauert eben so lange wie es dauert. Nicht jeder lernt gleich schnell und gleich viel. Nicht allen fällt das gleiche gleich leicht oder schwer.

 

Ich bin der Meinung, dass es nur ein Zugewinn für Mensch und Pferd sein kann, wenn den Pferden die Zeit zugestanden wird, die sie zum Lernen und Verstehen benötigen. Oder würden wir uns das nicht für uns selbst auch wünschen? Ein Chef, der nicht gegen, sondern für uns arbeitet? Der nicht gegen, sondern für uns entscheidet? Warum gestehen wir unseren Pferden dann dieses Privileg nicht auch ein? Einfach die Zeit zu bekommen, die sie brauchen - auch wenn das vielleicht nicht in unseren eigenen Zeitplan passt. Denn die Erfahrung vieler Jahre hat eines gezeigt: Geduld hat sich schon immer ausgezahlt und wird sich auch zukünftig bewähren.